René Talbot
von Klaus Buckmann
Es ergab sich aber zu der Zeit, dass eine merkwürdig bunte junge Truppe im Winterlager (1983) auf der Bootswerft Dirk Winkler an der Lesum in Bremen auftauchte. Sie kamen übers Meer mit einer bildschöne grünen Yacht mit herrlichen Linien, wie man sie selten noch sah. Die Yachtszene des Winterlagers stand schräg auf der Helling und fragte sich indigniert, wie kann es sein, dass so junges Gemüse an solch klassische Yacht eines großen deutschen Industriemagnaten gekommen ist, wäre ein Opti für diese nicht angemessener?
In der Tat entpuppte sich diese gar nicht kleine bildschöne grüne Yacht als eine kruppsche Germania aus der Wirtschaftswunderzeit, etwas in die Jahre gekommen, in einigen Verbänden, wie sich zeigen sollte, nicht mehr ganz so krisenfest und von den Vorbesitzern, einer Yachtschule, wie sich auch zeigen sollte, nicht ganz schiffbaumäßig fachmännisch repariert. Da lag sie nun hoch und trocken neben meinem über 100 Jahre alten hölzernen Finkenwerder Krabbenkutter, zwar aus Kruppstahl und etwas größer, aber ebenso arbeitsintensiv. Der Haufen ausgebauter Teile wuchs an und wurde wieder kleiner durch den Einbau, wobei einiges über blieb oder ersetzt wurde, einige Reparaturen bzw. Restaurationen allerdings, ein Refit war es noch nicht ganz, hatten erhebliche Ausmaße angenommen.
Aus dieser bunten Truppe stach ein kleines schlankes Kerlchen hervor, eine Mischung aus Unsicherheit und Selbstbewußtsein, auf jeden Fall aber mit Visionen und Durchsetzungsvermögen in der Truppe.
Das war mein erstes Zusammentreffen mit René, etwas skeptisch meinerseits aufgrund seiner etwas chaotischen Persönlichkeit, meinte ich aus meinem eher geordneten Dasein, aber gleichzeitig fasziniert von der Tatkraft, dem schiffbauerischem Sachverstand, den auch der sonst ziemlich skeptische Dirk Winkler anerkannte und dem scheinbar unerschütterlichen Glauben an das von ihm geplante Vorhaben, welches für mich ein ziemliches Abenteuer mit ungewissen Ausgang darstellte.
Die Arbeit an der Germania ging so zügig voran wie an fast kaum einem Schiff der Yachties, was wiederum der alte Winkler bei allen Bedenken positiv vermerkte, wer tatkräftig anpackt, auch noch mit Sachverstand, galt was bei ihm.
Die Yachtszene, wie immer etwas schräg stehend, schüttelte immer schräger den Kopf, paßte diese Truppe denn noch zu ihren Vorstellungen von gepflegter Seemanschschaft? Und nicht mal einen Elbsegler hatte man gesehen.
Trotz aller Bedenken ging die Germania bald wieder ganz ohne Havarie ins Wasser und schwamm sogar manierlich auf. Es sprach sich rum, via Helgoland, Holland und Ärmelkanal ins Mittelmehr und noch viel weiter gen Karibik. Die Yachtszene schüttelte mal wieder schräg den Kopf, bedenklich, bedenklich und tippte sich an die Stirn. Dirk Winkler meinte nur lapidar, "nach Helgoland schaffen die nie". Als ich ihm später erzählte, wie weit René mit der Germania gekommen war, sprach er seine Anerkennung mit einem leicht verblüffen "Donnerwetter" aus.
Du hattest mir, René, eine Mitreise auf dem Schiff angeboten, waren wir uns inzwischen freundschaftlich näher gekommen und verbunden, aber ich traute zu der Zeit dem Abenteuer nicht so recht und ich hatte schließlich Familie und zwei Kinder, da war erst einmal geldbringende Arbeit angesagt.
Den Umständen entsprechend war unsere Kommunikation danach etwas eingeschränkt und sporadisch, sie lebte erst wieder richtig auf, als Du eines Tages in den so bekannten Clogs leibhaftig wieder bei uns auftauchtest und Pläne für ein neu zu konzipierendes Schiff präsentiertest, wieder wunderschöne klassische Linien aus einer Zeit, als man noch nicht seinen Rumpf mit Foils aus dem Element Wasser in die Luft heben wollte. In der Diskussion über Deine neue Vision, der Schaffung einer Symbiose aus traditionellem Design und fortgeschrittener Technik wurde schnell klar, unter 100 Fuß geht gar nicht, wer etwas gelten will in der Yachtszene, und etwas zu gelten war immer eines Deiner Maxime, muss also deutlich über 100 Fuß vorweisen. Es wurden dann ja auch deutlich mehr.
Ich muss bekennen, dass ich zu der Zeit Deine Vision nicht so recht als zukünftige Realität eingeordnet habe und die Diskussionen eher als theoretisch betrachtete, ich musste mich mal wieder von Dir eines besseren belehren lassen. Durch Deine vielen Besuche bei uns auf der Einkauftour für das Schiff und einiger gemeinsamer Fahrten zur Bauwerft nach Danzig kristallisierte sich das Vorhaben auch für mich immer deutlicher heraus. Der erste Eindruck vom Haufen nummerierter Stahlplatten auf der Leninwerft in Danzig war noch etwas theoretischer Natur, als der Kasko dann am Haken in der Luft baumelte mit seinen schon sichtbaren wundervollen Linien war meine Begeisterung schon groß, als der Baufortschritt die Dimensionen immer klarer zu Tage treten ließ, der Rumpf glatt gespachtelt, das Deck gelegt, die wenigen Aufbauten aufgestellt und der Innenausbau vorangeschritten war, konnte ich meine Bewunderung kaum in Worte fassen. Was hattest Du mit Konstrukteur und Bauleiter da nur für ein Ei ausgebrütet! Die Baufortschritte und die damit verbundenen Diskussionen zwischen diesem Triumphirat, an denen ich teilweise teilnahm zeigten, dass hier nicht einfach ein Auftragnehmer etwas bestellt hatte, bei Dir hatte sich längst neben theoretischen Fachkenntnissen eine bedeutende Menge praktischer Erfahrungen angesammelt, die direkt in das Bauvorhaben einflossen. Seit dieser Zeit hat sich bei mir ein schier unerschütterliche Glaube an Deiner Fähigkeit entwickelt, eine Vision umzusetzen, zäh daran zu arbeiten, eine enorme Vorstellungskraft zu besitzen. Meine Freundschaft wurde vorbehaltlos aber nicht immer kritiklos.
Was waren das für herrliche Erfahrungen für mich in Danzig, mein erstes Mal als ich hoch zur Saling stieg, die ersten Probefahrten und die ersten Probeschläge unter Segel sind unvergesslich. Die White Eagle schien mir, der ich traditionellen Schiffen zuneige, als eine wunderbare Neuschöpfung alter Schiffbaukunst aus der Zeit der J Klasse Yachten, das Vorbild der White Eagle, die Puritan (1930 gebaut) hat allerdings nie am amerika's cup teilgenommen. Die Linien der White Eagle standen nach meinem Empfinden allerdings denen von John Alden, der die Puritan designt hat, jedenfalls in nichts nach.
Unvergesslich war dann auch unser gemeinsamer Segeltörn mit Dir und Asia und mit meiner Gisela sowie der Crew in der Karibik. Mit der White Eagle von St. Lucia bis Antigua, im März/April war eine wunderbare Zeit, die Ausflüge in St. Lucia, Martinique, Dominica, Guadelupe und vor allem Antigua, die Partys auf shirley highs, waren einfach großartig. Es waren harmonische Wochen und Gisela und ich konnten einen kleinen Ausschnitt an der wunderbar lockeren Szene der Karibik (zumindest was die Yachszene betraf) erfahren und teilhaben. Leider war die Zeit, in der Du die White Eagle in Besitz hattest, viel zu kurz, ich wäre so gerne nochmals an Bord gekommen und hätte gerne endlich auch etwas mehr Abenteuer riskiert, aber vorbei, etwas dass ich Dir sehr übel genommen habe, aber ich bin ja nicht nachtragend.
Nun, die Tage der White Eagle sind passe, unsere Freundschaft "beschränkt" sich nunmehr auf die gegenseitigen häufigeren Besuche in Bremen und Berlin und wir, mittlerweile etwas älteren Männer, haben Muße, nicht nur über allgemeine Fragen zu disputieren sondern auch über das Leben als solches, auch über uns sinnieren wir häufiger, wobei uns schon mal die Frage nach dem Wesen des Menschen umtreibt, was ist der Mensch, was zeichnet ihn aus und was verhilft ihm zu einer herausragenden Stellung innerhalb der Schöpfung. Diese Frage wird ja schon seit urdenklichen Zeiten immer wieder gestellt, unterschiedlich definiert, kontrovers diskutiert, nicht nur zwischen uns.
Zu den Eigenschaften, die wir u.a. zur Beantwortung der Frage zählen, gehört die schöpferische Kraft, verbunden mit einem Gestaltungswillen und einer damit verbundenen Kraft zu reflektieren, einem Unrechtsbewußtsein sowie die Fähigkeit und ein Wille, für die eigene Überzeugung einzutreten und sie auch gegen Widerstände und Schwieigkeiten zu vertreten und einzufordern.
Von diesen Eigenschaften muss ich Dir ein gerütteltes Maß an Fähigkeiten zuschreiben, manchmal etwas eigenwillig und fast schon starrsinnig aber mit dem unbedingten Willen zur Umsetzung. In vielen für uns essentiellen Fragen sind wir völlig gleicher Meinung, etwa was unsere unselige historische Vergangenheit und deren Ursachen und Folgen betrifft, dem unbedingten Wunsch, dass diese immer noch vorhandene und wiedererstarkte braune Gesinnung nie wieder zur Geltung kommen darf und am besten in der Wüste aufgehoben ist (arme Wüste). In vielen Fragen der Alltagspoltik paßt, wie man so schön sagt, kein Blatt zwischen unsere Übereinstimmungen, ebenso bei der Ablehnung jedweder Ausgrenzung, Diskriminierung und Zwangsbehandlung von Menschen, die sich den gesetzten Normen nicht vorbehaltlos unterordnen wollen oder können.
In anderen Fragen treten offenkundig gravierende und völlig konträre Ansichten und Thesen zwischen uns auf, z.B. in Fragen des Klimawandels (ich greife mal eines der Themen heraus) und seiner Folgen (ich kann mit Verlaub die Thesen Deines Michael Iwanowitsch Budyko* langsam wirklich nicht mehr hören, aber nach 1400 Jahren wurde schließlich auch das geozentrische Weltbild des Ptolemäus durch das heliozentrische ersetzt, zwar hat es gedauert aber bei Budyko dürfte es wesentlich schneller mit der Versenkung seiner Thesen gehen), die manche Diskussionen in verbale Schlachten ausarten lassen und zu eruptiven Streitgesprächen führen. Manche Deiner Theorien erscheinen mir denn auch derart abstrus, fremd und unverständlich, dass mir nur ein Kopfschütteln übrig bleibt und ich schon einen leichten Hang zu Verschwörungstheorien konstatieren muss.
Aber, wie sagte schon unser wichtigster deutsche Moralexperte: "mit wahrhaft Gleichgesinnten kann man sich auf die Dauer nicht entzweien, man findet sich immer mal wieder zusammen; mit eigentlich Widergesinnten versucht man umsonst, Einigkeit zu halten, es bricht immer wieder einmal auseinander" (Goethe, aus seinem Nachlass).
So werden wir denn weiterhin geruhsam unsere vielen Gemeinsamkeiten pflegen und uns auch hin und wieder streiten wie die Kesselflicker, fürchte ich; auf dass wir unser Gespür für die wirklich wichtigen Dinge nicht verlieren und unsere Freundschaft keinen Schaden nimmt, aber das kann sie nicht, denn, nun ja, was soll ich für Gisela und für mich anderes sagen als dies, Du bist in unseren Herzen.
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* Anmerkung von Rene:
Um zu verstehen wer und was gemeint ist, hier das Spiegel Interview mit Budyko von 1990: https://www.spiegel.de/wissenschaft/zurueck-ins-paradies-a-073817c8-0002-0001-0000-000013496606?context=issue
von Klaus Buckmann
Es ergab sich aber zu der Zeit, dass eine merkwürdig bunte junge Truppe im Winterlager (1983) auf der Bootswerft Dirk Winkler an der Lesum in Bremen auftauchte. Sie kamen übers Meer mit einer bildschöne grünen Yacht mit herrlichen Linien, wie man sie selten noch sah. Die Yachtszene des Winterlagers stand schräg auf der Helling und fragte sich indigniert, wie kann es sein, dass so junges Gemüse an solch klassische Yacht eines großen deutschen Industriemagnaten gekommen ist, wäre ein Opti für diese nicht angemessener?
In der Tat entpuppte sich diese gar nicht kleine bildschöne grüne Yacht als eine kruppsche Germania aus der Wirtschaftswunderzeit, etwas in die Jahre gekommen, in einigen Verbänden, wie sich zeigen sollte, nicht mehr ganz so krisenfest und von den Vorbesitzern, einer Yachtschule, wie sich auch zeigen sollte, nicht ganz schiffbaumäßig fachmännisch repariert. Da lag sie nun hoch und trocken neben meinem über 100 Jahre alten hölzernen Finkenwerder Krabbenkutter, zwar aus Kruppstahl und etwas größer, aber ebenso arbeitsintensiv. Der Haufen ausgebauter Teile wuchs an und wurde wieder kleiner durch den Einbau, wobei einiges über blieb oder ersetzt wurde, einige Reparaturen bzw. Restaurationen allerdings, ein Refit war es noch nicht ganz, hatten erhebliche Ausmaße angenommen.
Aus dieser bunten Truppe stach ein kleines schlankes Kerlchen hervor, eine Mischung aus Unsicherheit und Selbstbewußtsein, auf jeden Fall aber mit Visionen und Durchsetzungsvermögen in der Truppe.
Das war mein erstes Zusammentreffen mit René, etwas skeptisch meinerseits aufgrund seiner etwas chaotischen Persönlichkeit, meinte ich aus meinem eher geordneten Dasein, aber gleichzeitig fasziniert von der Tatkraft, dem schiffbauerischem Sachverstand, den auch der sonst ziemlich skeptische Dirk Winkler anerkannte und dem scheinbar unerschütterlichen Glauben an das von ihm geplante Vorhaben, welches für mich ein ziemliches Abenteuer mit ungewissen Ausgang darstellte.
Die Arbeit an der Germania ging so zügig voran wie an fast kaum einem Schiff der Yachties, was wiederum der alte Winkler bei allen Bedenken positiv vermerkte, wer tatkräftig anpackt, auch noch mit Sachverstand, galt was bei ihm.
Die Yachtszene, wie immer etwas schräg stehend, schüttelte immer schräger den Kopf, paßte diese Truppe denn noch zu ihren Vorstellungen von gepflegter Seemanschschaft? Und nicht mal einen Elbsegler hatte man gesehen.
Trotz aller Bedenken ging die Germania bald wieder ganz ohne Havarie ins Wasser und schwamm sogar manierlich auf. Es sprach sich rum, via Helgoland, Holland und Ärmelkanal ins Mittelmehr und noch viel weiter gen Karibik. Die Yachtszene schüttelte mal wieder schräg den Kopf, bedenklich, bedenklich und tippte sich an die Stirn. Dirk Winkler meinte nur lapidar, "nach Helgoland schaffen die nie". Als ich ihm später erzählte, wie weit René mit der Germania gekommen war, sprach er seine Anerkennung mit einem leicht verblüffen "Donnerwetter" aus.
Du hattest mir, René, eine Mitreise auf dem Schiff angeboten, waren wir uns inzwischen freundschaftlich näher gekommen und verbunden, aber ich traute zu der Zeit dem Abenteuer nicht so recht und ich hatte schließlich Familie und zwei Kinder, da war erst einmal geldbringende Arbeit angesagt.
Den Umständen entsprechend war unsere Kommunikation danach etwas eingeschränkt und sporadisch, sie lebte erst wieder richtig auf, als Du eines Tages in den so bekannten Clogs leibhaftig wieder bei uns auftauchtest und Pläne für ein neu zu konzipierendes Schiff präsentiertest, wieder wunderschöne klassische Linien aus einer Zeit, als man noch nicht seinen Rumpf mit Foils aus dem Element Wasser in die Luft heben wollte. In der Diskussion über Deine neue Vision, der Schaffung einer Symbiose aus traditionellem Design und fortgeschrittener Technik wurde schnell klar, unter 100 Fuß geht gar nicht, wer etwas gelten will in der Yachtszene, und etwas zu gelten war immer eines Deiner Maxime, muss also deutlich über 100 Fuß vorweisen. Es wurden dann ja auch deutlich mehr.
Ich muss bekennen, dass ich zu der Zeit Deine Vision nicht so recht als zukünftige Realität eingeordnet habe und die Diskussionen eher als theoretisch betrachtete, ich musste mich mal wieder von Dir eines besseren belehren lassen. Durch Deine vielen Besuche bei uns auf der Einkauftour für das Schiff und einiger gemeinsamer Fahrten zur Bauwerft nach Danzig kristallisierte sich das Vorhaben auch für mich immer deutlicher heraus. Der erste Eindruck vom Haufen nummerierter Stahlplatten auf der Leninwerft in Danzig war noch etwas theoretischer Natur, als der Kasko dann am Haken in der Luft baumelte mit seinen schon sichtbaren wundervollen Linien war meine Begeisterung schon groß, als der Baufortschritt die Dimensionen immer klarer zu Tage treten ließ, der Rumpf glatt gespachtelt, das Deck gelegt, die wenigen Aufbauten aufgestellt und der Innenausbau vorangeschritten war, konnte ich meine Bewunderung kaum in Worte fassen. Was hattest Du mit Konstrukteur und Bauleiter da nur für ein Ei ausgebrütet! Die Baufortschritte und die damit verbundenen Diskussionen zwischen diesem Triumphirat, an denen ich teilweise teilnahm zeigten, dass hier nicht einfach ein Auftragnehmer etwas bestellt hatte, bei Dir hatte sich längst neben theoretischen Fachkenntnissen eine bedeutende Menge praktischer Erfahrungen angesammelt, die direkt in das Bauvorhaben einflossen. Seit dieser Zeit hat sich bei mir ein schier unerschütterliche Glaube an Deiner Fähigkeit entwickelt, eine Vision umzusetzen, zäh daran zu arbeiten, eine enorme Vorstellungskraft zu besitzen. Meine Freundschaft wurde vorbehaltlos aber nicht immer kritiklos.
Was waren das für herrliche Erfahrungen für mich in Danzig, mein erstes Mal als ich hoch zur Saling stieg, die ersten Probefahrten und die ersten Probeschläge unter Segel sind unvergesslich. Die White Eagle schien mir, der ich traditionellen Schiffen zuneige, als eine wunderbare Neuschöpfung alter Schiffbaukunst aus der Zeit der J Klasse Yachten, das Vorbild der White Eagle, die Puritan (1930 gebaut) hat allerdings nie am amerika's cup teilgenommen. Die Linien der White Eagle standen nach meinem Empfinden allerdings denen von John Alden, der die Puritan designt hat, jedenfalls in nichts nach.
Unvergesslich war dann auch unser gemeinsamer Segeltörn mit Dir und Asia und mit meiner Gisela sowie der Crew in der Karibik. Mit der White Eagle von St. Lucia bis Antigua, im März/April war eine wunderbare Zeit, die Ausflüge in St. Lucia, Martinique, Dominica, Guadelupe und vor allem Antigua, die Partys auf shirley highs, waren einfach großartig. Es waren harmonische Wochen und Gisela und ich konnten einen kleinen Ausschnitt an der wunderbar lockeren Szene der Karibik (zumindest was die Yachszene betraf) erfahren und teilhaben. Leider war die Zeit, in der Du die White Eagle in Besitz hattest, viel zu kurz, ich wäre so gerne nochmals an Bord gekommen und hätte gerne endlich auch etwas mehr Abenteuer riskiert, aber vorbei, etwas dass ich Dir sehr übel genommen habe, aber ich bin ja nicht nachtragend.
Nun, die Tage der White Eagle sind passe, unsere Freundschaft "beschränkt" sich nunmehr auf die gegenseitigen häufigeren Besuche in Bremen und Berlin und wir, mittlerweile etwas älteren Männer, haben Muße, nicht nur über allgemeine Fragen zu disputieren sondern auch über das Leben als solches, auch über uns sinnieren wir häufiger, wobei uns schon mal die Frage nach dem Wesen des Menschen umtreibt, was ist der Mensch, was zeichnet ihn aus und was verhilft ihm zu einer herausragenden Stellung innerhalb der Schöpfung. Diese Frage wird ja schon seit urdenklichen Zeiten immer wieder gestellt, unterschiedlich definiert, kontrovers diskutiert, nicht nur zwischen uns.
Zu den Eigenschaften, die wir u.a. zur Beantwortung der Frage zählen, gehört die schöpferische Kraft, verbunden mit einem Gestaltungswillen und einer damit verbundenen Kraft zu reflektieren, einem Unrechtsbewußtsein sowie die Fähigkeit und ein Wille, für die eigene Überzeugung einzutreten und sie auch gegen Widerstände und Schwieigkeiten zu vertreten und einzufordern.
Von diesen Eigenschaften muss ich Dir ein gerütteltes Maß an Fähigkeiten zuschreiben, manchmal etwas eigenwillig und fast schon starrsinnig aber mit dem unbedingten Willen zur Umsetzung. In vielen für uns essentiellen Fragen sind wir völlig gleicher Meinung, etwa was unsere unselige historische Vergangenheit und deren Ursachen und Folgen betrifft, dem unbedingten Wunsch, dass diese immer noch vorhandene und wiedererstarkte braune Gesinnung nie wieder zur Geltung kommen darf und am besten in der Wüste aufgehoben ist (arme Wüste). In vielen Fragen der Alltagspoltik paßt, wie man so schön sagt, kein Blatt zwischen unsere Übereinstimmungen, ebenso bei der Ablehnung jedweder Ausgrenzung, Diskriminierung und Zwangsbehandlung von Menschen, die sich den gesetzten Normen nicht vorbehaltlos unterordnen wollen oder können.
In anderen Fragen treten offenkundig gravierende und völlig konträre Ansichten und Thesen zwischen uns auf, z.B. in Fragen des Klimawandels (ich greife mal eines der Themen heraus) und seiner Folgen (ich kann mit Verlaub die Thesen Deines Michael Iwanowitsch Budyko* langsam wirklich nicht mehr hören, aber nach 1400 Jahren wurde schließlich auch das geozentrische Weltbild des Ptolemäus durch das heliozentrische ersetzt, zwar hat es gedauert aber bei Budyko dürfte es wesentlich schneller mit der Versenkung seiner Thesen gehen), die manche Diskussionen in verbale Schlachten ausarten lassen und zu eruptiven Streitgesprächen führen. Manche Deiner Theorien erscheinen mir denn auch derart abstrus, fremd und unverständlich, dass mir nur ein Kopfschütteln übrig bleibt und ich schon einen leichten Hang zu Verschwörungstheorien konstatieren muss.
Aber, wie sagte schon unser wichtigster deutsche Moralexperte: "mit wahrhaft Gleichgesinnten kann man sich auf die Dauer nicht entzweien, man findet sich immer mal wieder zusammen; mit eigentlich Widergesinnten versucht man umsonst, Einigkeit zu halten, es bricht immer wieder einmal auseinander" (Goethe, aus seinem Nachlass).
So werden wir denn weiterhin geruhsam unsere vielen Gemeinsamkeiten pflegen und uns auch hin und wieder streiten wie die Kesselflicker, fürchte ich; auf dass wir unser Gespür für die wirklich wichtigen Dinge nicht verlieren und unsere Freundschaft keinen Schaden nimmt, aber das kann sie nicht, denn, nun ja, was soll ich für Gisela und für mich anderes sagen als dies, Du bist in unseren Herzen.
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* Anmerkung von Rene:
Um zu verstehen wer und was gemeint ist, hier das Spiegel Interview mit Budyko von 1990: https://www.spiegel.de/wissenschaft/zurueck-ins-paradies-a-073817c8-0002-0001-0000-000013496606?context=issue